Gedanken und Gefühle
Der unsichtbare Countdown…
Heute vor genau einem Jahr bekam ich eine Mail von AFS, in der man mir meine Gastfamilie mitteilte. Und heute… Heute sitze ich mit ihnen gemeinsam am Tisch, lache, rede und fühle mich ganz Teil dieser Familie.
Doch innerlich tickt bei mir ein Countdown. In 18 Tage fliege ich nach Deutschland zurück. Schon fast 11 Monate bin ich nun schon von meiner Heimat und meinem dortigen Umfeld fort. Seit fast 11 Monaten lebe ich bei einer anderen Familie. Und bald ist das alles vorbei.
Ich kann gar nicht beschreiben, wie es mir geht. Auf der einen Seite freue ich mich unglaublich auf meine deutsche Familie, meine Freunde, meinen gewohnten Alltag, das Essen. Und auf der anderen Seite fühle ich mich schrecklich. Ich muss meine Familie, meine Schule, mein ganzes Leben hier verlassen. Ich habe mich an die Routinen, die Kultur und die Menschen gewöhnt. Wenn ich nicht gerade mit einer deutschen Person spreche, dann rede ich nur auf Spanisch. Mittlerweile ohne zu denken. Und in 18 Tagen ist das alles vorbei.
„Was glaubst du ist schwerer:
Du lebst 16 Jahre lang in einem Leben. Dieses Leben verlässt du für 11 Monate, aber weißt von Anfang an, dass du wieder zurückkehren wirst.
In 11 Monaten baust du dir ein Leben auf. Und dann musst du es für immer verlassen, weil du weißt, dass es nie mehr so sein wird wie es mal war“
Ich hab Angst.
Warum? Weil ich ein Jahr lang weg war. In dieser Zeit habe ich mich sehr verändert. Die Art und Weise wie ich über bestimmte Dinge denke ist anders. Ich habe in einer völlig anderen Kultur gelebt (bzw. lebe noch immer darin). Ich habe Angst, dass ich vielleicht nicht mehr in einige Sachen hereinpasse. Dass ich mich zu sehr verändert habe, um mein altes Leben, so wie es war, wieder anzunehmen.
Und nicht nur ich habe mich verändert. Schließlich ist in Deutschland auch ein Jahr vergangen. Alles entwickelt sich in dieser Zeit weiter. Aber derjenige der mittendrin ist in dieser Entwicklung bemerkt es nicht einmal. Beziehungen zwischen Menschen ändern sich, kommen und gehen. Man wird älter und lernt neue Sachen dazu. In einem Jahr kann sich so viel verändern. Und jetzt komme ich wieder, mit den Gewohnheiten einer anderen Kultur, der Sprache eines anderen Landes, mit einer Familie anderen Blutes im Herzen.
Ich habe nie über das „Danach“ nachgedacht. Was wird nach diesem Jahr sein? Keine Ahnung. Und genau das macht mir Angst.
Und doch freue ich mich schon so sehr. Meine Familie wieder in die Arme zu schließen. Mit meinen Freunden zu lachen und vor allem von meinen Abenteuern und Erfahrungen zu erzählen.
Genau wie zu Beginn meines Auslandsjahres gehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und ich glaube genauso muss es auch sein. Egal wie schwer es ist und war, es war es wert!
23.06.2016
Die kleinen Verrücktheiten der Kulturen
Viele Personen hier und in meiner Heimat fragen immer, ist es in Deutschland/Costa Rica denn sehr anders? Was ist anders? Oft beantworten sie ihre Fragen selbst. Ja es ist sehr anders. Die Sprache ist anders, das Wetter und die Kultur. Kultur, ha, da ist dieses Wort. Was bedeutet das eigentlich?
Im Duden habe ich folgende Definition gefunden:
Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung.
Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen. (http://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur)
Meiner Deutschlehrerin würde diese Definition bestimmt nicht ausreichen. Was für geistige und künstlerische Leistungen sind denn damit gemeint. Mir sind im Laufe der 8 Monate, die ich nun schon hier bin, einige Kulturunterschiede aufgefallen und möchte sie mit euch teilen.
Essen/Comida(ja, ich fange natürlich mit dem besten an):
Auf meinen Vorbereitungen von AFS in Deutschland wurde ich drauf vorbereitet, dass das Essen sehr anders und ungewohnt sein wird. An meinen ersten beiden Tagen auf dem Camp von AFS Costa Rica bekamen wir das auch gleich zu spüren. Zum Frühstück „Gallo Pinto“ so ziemlich das nationale Gericht von Costa Rica. Es besteht aus Reis vom Vortag, Bohnen (Bei uns bekannt als Kidneybohnen) und diversen Gewürzen. Zum Mittagessen „Casado“ . Reis (arroz) und Bohnen (frijoles), dazu eine Sorte Fleisch und manchmal auch ein Rührei. Abends gibt es oft die Reste vom Mittagessen. Keine Angst, ich esse nicht jeden Tag Reis und Bohnen (wobei eigentlich bei jeder Mahlzeit Reis dabei ist). Eine weitere Sache die mich zuerst sehr verblüfft und belustigt hat. Meine Familie isst nicht mit Messer und Gabel, sondern mit einem Löffel. Zuerst war das total befremdlich für mich, aber ich habe mich schnell daran gewöhnt und ffinde es viel praktischer.
Kaffee/Café:
Kaffee ist hier so wichtig, dass er gleich eine eigene Kategorie bekommt. Costa Rica (welches gerade mal eine Fläche von 51.100 Quadratkilometern hat; etwa so groß wie Niedersachsen) ist weltweit der 12. größte Kaffee Exporteur. Im Jahr 1988 wurden fast 150.000 Tonnen Kaffee exportiert. Zurzeit liegt der Wert bei etwa 120.000-130.000 Tonnen jährlich. Der Kaffee hier schmeckt mir um Längen besser, als der, den wir in Deutschland kaufen. Ich weiß nicht warum, vielleicht ist er einfach besser oder er schmeckt mir nur so gut, weil er aus Costa Rica kommt. Hier braucht man nur heißes Wasser, Kaffeepulver und eine alte Socke um Kaffee zu machen. Natürlich ist es keine alte Socke, die wir verwenden, aber es sieht so aus (Bild in der Bildergalerie). In meiner Familie wird 2-3 Mal am Tag Kaffee getrunken. Wenn man irgendwo zu Besuch eingeladen wird, bekommt man IMMER Kaffee serviert. Ich bin hier noch süchtiger nach Kaffee geworden, als ich sowieso schon war (sorry Mama).
Verkehrsregeln/?(Ich kenne die spanische Übersetzung dafür nicht, was schon einiges darüber aussagt):
Hier in Costa Rica einen Führerschein zu machen ist umeiniges einfach, als in Deutschland. Die Kosten alle zusammengefasst kommt man etwa auf 50-100 Euro. Außerdem lernen die Ticos erst das Autofahren auf der Straße und machen dann ihren Führerschein. Dementsprechend ist auch der Verkehr. Jeder fährt wie und wo er will und hupt laut durch die Gegend. Die Ticos hupen wenn sie sich bedanken, fröhlich sind, wütend sind und einfach so zum Spaß. Zu den Hauptverkehrszeiten kann es schon mal sein, dass man für eine Strecke von 30 Kilometern 3 Stunden unterwegs ist. Für all jene, die kein Auto besitzen (was hier auch total normal ist) gibt es eine sehr gute Busverbindung. Ich, als kleines Dorfkind (in dessen Dorf nur der Schulbus fährt) bin immer überglücklich. Von San José aus fahren die Busse in alle Richtungen. Würde ich zum Beispiel mit dem Bus an den Strand fahren wollen, würde mich das ungefähr 5Euro und 3 Stunden Fahrzeit kosten.
„La horaTica“/Die Zeit der Ticos:
Pünktlichkeit, kann man das essen? Die Ticos kommen grundsätzlich immer und überall zu spät. Niemand wird böse, wenn der andere eine Stunde zu spät oder gar nicht kommt. Ich würde mich als sehr pünktlichen Menschen beschreiben. Deshalb musste ich schmerzlich lernen, was es heißt wenn ein Tico sagt: „Wir treffen uns um 1.“ Mittlerweile habe ich akzeptiert, dassich ihnen immer eine Stunde früher sagen muss, damit sie dann um die, von mir gewünschte, Uhrzeit da sind. Ein bisschen habe ich es auch schon übernommen. Fast jeden Tag komme ich 5 Minuten nach dem Klingeln mit einer Freundin in der Schule an, was aber niemanden interessiert. Nach der Schule laufe ich gemeinsam mit zwei Freundinnen nach Hause. Ich musste die Zeit einfach mal stoppen, da ich es selbst nicht glauben konnte. Wenn ich, für deutsche Verhältnisse normal gehe, brauche ich für den Weg 7 Minuten. Wenn ich allerdings mit Ticos unterwegs bin, brauche ich für dieselbe Strecke 20 Minuten. In der ersten Zeit bin ich immer ganz normal gelaufen und habe mit der anderen Person geredet, bis mir aufgefallen ist, dass diese Person etwa 100 Meter hinter mir wie eine Schildkröte geht.
Pura Vida:
Pura Vida ist nicht nur der berühmte Satz aus Costa Rica, nein es ist auch eine Lebenseinstellung. Hier läuft alles in einem anderen Tempo. Man lässt sich nie stressen und ist mit dem zufrieden was man hat. Die Ticos sagen zu allem Pura Vida. Egal ob Hallo, Tschüss, Wie geht es dir? Oder „Mirgeht es gut“. Costa Rica hat eine einzigartige Natur und Artenvielfalt. Deshalb passt Pura Vida (das übersetzt „Pures Leben“ bedeutet) auch in diesem Sinne. Mir gefällt diese Einstellung sehr gut, auch wenn es mir manchmal auf die Nerven geht immer nur „Morgen“ zu sagen.
Costa Rica es Pura Vida!
21.04.2016
Halbzeitgedanken
Vor 172 Tagen startete mein neues Abenteuer. In 168 Tagen ist es vorbei. Ich bin nun schon länger hier, als ich noch bleiben werde. Meine Mama hat einen schönen Ausdruck gefunden: Die Zeit verging so schnell und doch bist du schon Ewigkeiten weg.
Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Ich habe die „alte“ Generation von Austauschschülern tränenreich verabschiedet und Ende Februar kommen die Frischlinge. Und doch habe ich das Gefühl schon Ewigkeiten hier zu sein. In so kurzer Zeit hat sich mein Leben komplett auf den Kopf gestellt und da bleibt es nicht aus, dass man sich verändert.
In dieser Zeit musste ich, zum Teil sehr schmerzlich, erkennen, wer meine wahren Freunde sind. Ich habe gelernt, wie einsam man sich fühlen kann, wenn alle um einen herum lachen, Spaß haben und unterbrochen reden – in einer Sprache, die nicht die eigene ist. Spanisch ist immer noch nicht meine Sprache, das wird sie auch nie sein, doch ich beherrsche sie schon ganz gut. Natürlich habe ich auch wunderbare Freunde gefunden. Mit meinen Klassenkameraden konnte ich vom ersten Tag an lachen und Späße machen. Und dann sind da noch die anderen Austauschschüler aus aller Welt. Mit ihnen kann man sich stundenlang unterhalten, man kann mit ihnen weinen und lachen. Sie verstehen mich besser, als es irgendjemand anderes nur kann. Ich habe das große Glück und die Ehre Teil dieser Gemeinschaft zu sein und Freunde in der ganzen Welt zu haben (Gracias a todo los estudiantes de intercambio! Son los mejores del mundo! Gracias por ser mis amigos!).
Ich habe unfassbar viel über mich selber und über mein Zuhause gelernt. Ich schätze so viele Dinge an und in Deutschland, die vorher völlig normal und alltäglich für mich waren. Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich einfach nur nach Hause möchte. Aber zum Glück weiß ich ja, dass ich irgendwann nach Hause kommen werde und dass dort eine liebende Familie auf mich wartet.
Ich danke allen, die in dieser Zeit zu mir stehen und bin dankbar für jeden Moment, den ich hier und in Deutschland erleben darf. Ich bin gespannt auf das, was noch vor mir liegt!
26.01.2016
Gefühle in der Weihnachtszeit
In der Zeit vor Weihnachten ging es mir nicht gut. Ich hatte ein ziemliches Tief und habe viel geweint. Ich hatte das erste Mal in meiner gesamten Zeit hier, Heimweh. Es hat mir sehr geholfen mit meiner Familie daheim zu sprechen. Ich habe einfach die deutschen Traditionen und die Magie der Weihnachtszeit vermisst und somit war dann hier alles nur noch doof. Außerdem haben mir meine Gasteltern erklärt, dass ich nicht alleine reisen darf, was für mich wie ein Schlag ins Gesicht war. Ich habe seit ende November Ferien und habe fast noch nichts gemacht und gesehen. Es hat mich traurig und wütend gemacht. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern würden mir nicht vertrauen. Mittlerweile habe ich noch einmal über alles nachgedacht und kann die Entscheidung meiner Eltern akzeptieren. Costa Rica ist ein kleines Land, also habe ich die Möglichkeit mit Tagesausflügen das Land gut kennenzulernen.
05.01.2016
Vor etwa einem Jahr habe ich mich für mein Auslandsjahr bei AFS beworben. Da mein großer Bruder vor 10 Jahren in Kanada war, ist dieses Auslandsjahr mein großer Traum seit ich fünf Jahre alt bin. Meine Mama hat mal gesagt: „Es ist keine Frage, dass sie weggeht, sondern wohin.“
Ich hab mal mehr oder weniger daran gedacht, aber es nie vergessen. Wenn man mich gefragt hat, was ich nach den 10 Jahren Gesamtschule machen werde, habe ich immer geantwortet, dass ich Abitur machen möchte, aber erst ein Jahr ins Ausland gehe.
Jetzt ist mein Traum wirklich Wahrheit geworden. Letztes Jahr schien alles noch so weitweg und unendlich lang, aber die Zeit verging unglaublich schnell.
Etwa ein halbes Jahr vorher war es mein Lieblingsthema und ich habe von fast nichts anderem mehr gesprochen. Ich konnte nicht verstehen, dass meine Freunde irgendwann genervt davon waren.
Und ich musste die Erfahrung machen, dass nicht jeder gut findet, was ich mache. Wie oft musste ich mir Sätze anhören wie: „Bist du eigentlich verrückt?!“, „Ohne spanisch zu sprechen…Ist das wirklich gut für dich“ oder „Ich kann dich nicht verstehen, wie kannst du hier alle im Stich lassen?!“
Das hat mich sehr gekränkt, da es von Personen kam, deren Meinung ich normalerweise sehrschätze.
Trotzdem habe ich nie daran gezweifelt, dass es genau das Richtige für mich ist. Von vielen habe ich auch gehört: „Wow, wie mutig du bist, sowas hätte ich mich nie getraut“
Um ehrlich zu sein, ich habe mich dadurch nie mutig gefühlt. Eher ganz klein. Unerfahren. Und vor allem habe ich mich immer gefragt, warum sie es nicht selber nicht gemacht haben bzw. machen. Jetzt habe ich angefangen es zu verstehen. Sowas ist nicht für jeden etwas. Und das hat nichts damit zu tun, wie mutig man ist. Es ist eine Sache der Persönlichkeit und zu manchen passt so etwas einfach nicht. Und das ist auch keine Schande oder so!
Dieses Jahr wäre auch nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde. Ein großes Dankeschön an meine Mama und meinen Papa, dass ihr mich gehen lassen habt, auch wenn es vielleicht nicht ganz einfach war. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich euch liebe! Und ich muss auch meinem Opa und meiner Oma danken, ihr habt mir in so vielen Urlauben gezeigt, wie schön die Welt ist.
Opa, vielleicht weißt du es gar nicht, aber du bist einfach eines meiner großen Vorbilder. Wie du mit Menschen umgehst, deren Sprache du nicht sprichst und deren Kultur dir fremd ist. Mama sagt immer, von dir habe ich das Fernweh geerbt. Ich möchte irgendwann mal genauso viele Länder der Welt besucht haben, wie du. Und wenn ich wiederkomme müssen wir ja schließlich noch nach Peru zusammen. Danke für alles.
Oma, du bist immer die ruhige Seele. Die unsere „fernweh-geplagte“ Familie daran erinnert,wo unser Zuhause ist. Der Duft von deinem Essen ist einfach Heimat. Ich freue mich jedes Mal nach einem Urlaub drauf, bei dir mein Lieblingsessen zu essen. Danke, dass du mich immer unterstützt, egal was ich mache!
Und natürlich wäre das alles auch ohne meine Freunde sehr, sehr viel schwieriger geworden. Danke, dass ihr immer für da wart/seid. Mich auch mal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt habt! Und ich weiß, dass es für euch auch nicht einfach war immer zu sagen: "Geh". Und dafür danke ich euch sehr! Ich vermisse euch!
In so einem Jahr lernt man mehr, als nur die Sprache und die Kultur. Man lernt sich selbst viel besser kennen und kann einige Begriffe viel genauer definieren. Zum Beispiel hat der Begriff Freiheit für mich eine ganz andere Bedeutung bekommen, seit ich in Costa Rica lebe.
Es ist nur ein Jahr, aber ich lerne jeden Tag etwas völlig neues!
25.10.2015